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Von Olaf Bernau
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2005 wird in Bremerhaven das Deutsche Auswandererhaus eröffnet. Denn von über 50 Millionen Deutschen, die zwischen 1607 und 1970 ihre Heimat per Schiff verlassen, haben 7,2 Millionen Menschen die Reise von Bremerhaven aus angetreten – die meisten nach Nord-, Mittel- und Südamerika, einige wenige nach Australien und Neuseeland.
Die Motive für die Auswanderung sind ganz verschieden: Perspektivlosigkeit im Zuge von Armut und Hunger dürfte am wichtigsten gewesen sein. Aber es gibt auch weitere Gründe: Im 17. und 18. Jahrhundert geht es um Religionsfreiheit, vor allem Protestant:innen sehen sich in katholischen Gebieten Diskriminierung ausgesetzt. Im 19. Jahrhundert treten politische Motive in den Vordergrund: Nach der gescheiterten Revolution 1848/49 brechen viele Liberale und Demokrat:innen auf, darunter zahlreiche Juden und Jüdinnen, die vergeblich auf gesellschaftliche Emanzipation gehofft hatten. Im 20. Jahrhundert erweist sich der Nationalsozialismus als Zäsur: Nach dem Zweiten Weltkrieg gehen zahlreiche Überlebende der Shoa und ehemalige Zwangsarbeiter:innen nach Übersee. Das Auswandererhaus möchte diese Geschichten begreifbar machen. Daher gibt es nicht nur detailgetreue Nachbildungen, etwa vom Innenleben der Schiffe. Auch biographische Einzelschicksale werden multimedial rekonstruiert. 2012 und 2021 wurde die Ausstellung jeweils erweitert, nun geht es auch um 330 Jahre Einwanderungsgeschichte nach Deutschland. So werden im „Saal der Debatten“ Konflikte rund um Integration dargestellt. Damit gerät auch der Widerstand jener Geflüchteten und Migrant:innen in den Blick, die in den letzten Jahrzehnten in unzähligen lokalen Kämpfen für Würde und gleiche Rechte gestritten haben. Diese Vervielfältigung des Blickwinkels ist wichtig, aber sie reicht nicht. Nötig wäre vielmehr, auch das Migrationsgeschehen in anderen Weltregionen zu thematisieren. Denn
vieles ist in Europa unbekannt, was wiederum zu Verzerrungen in gesellschaftlichen Debatten führt. Beispielsweise, wenn immer wieder das Bild bemüht wird, wonach halb Afrika auf gepackten Koffern säße. Richtig ist demgegenüber, dass in migrantischen Schwerpunktregionen wie Westafrika gerade einmal 2,6 Prozent aller Menschen außerhalb ihres Geburtslandes leben, und von diesen 2,6 Prozent wiederum sind gut drei Viertel in einem ihrer jeweiligen Nachbarländer unterwegs. Es kann daher nicht verwundern, dass in Europa lediglich 4,1 Millionen Menschen zuhause sind, die in einem afrikanischen Land südlich der Sahara geboren wurden Und ähnliches gilt auch für weltweite Migrationsbewegungen, die im Jahr 2020 zu 86 Prozent im globalen Süden erfolgten.
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Quellen:
Olaf Bernau (2022): Brennpunkt Westafrika. Die Fluchtursachen und was Europa tun sollte. München: C.H.Beck
Die Columbuskaje (2015): Bremerhavens Auswandererkai. Geheimnisvolle Orte (ARD-Doku, 43 Minuten). URL: https://www.youtube.com/watch?v=wLpsDrD3P_g (Zugriff: 20.02.2022)
Sebastian Möller (2020): Die Bremischen Häfen in der Globalen Politischen Ökonomie. Forschungsseminar an der Uni Bremen (SoSe 2020). URL: https://blogs.uni-bremen.de/hafenblog/ (Zugriff: 20.02.2022)
Jan Plamper (2019): Das neue Wir. Warum Migration dazugehört. Eine andere Geschichte der Deutschen. Frankfurt am Main: Fischer