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von Lillemor Kuht
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Am 06.04.2006 wurde Halit Yozgat mit 21 Jahren als neuntes Opfer vom NSU in seinem Internetcafé in der Holländischen Straße ermordet. Halit Yozgat wurde in der Kasseler Nordstadt geboren. Die Nordstadt ist seit jeher ein von Industrie, Arbeiter:innen und Migration geprägter Stadtteil. In den 1960er Jahren kamen in Folge des Anwerbeabkommens u.a. mit der Türkei viele Arbeitsmigrant:innen nach Kassel. Auch die Großeltern und Eltern von Halit Yozgat migrierten in den 1960er Jahren hierhin.
Die Infrastruktur des Stadtteils ist heute von migrantischen Selbstständigen geprägt. So zum Beispiel bis 2006 auch vom Internetcafé der Familie Yozgat in der Holländischen Straße. Dieser Ort etablierten migrantischen Lebens wurde vom NSU nicht zufällig für ein Attentat gewählt. Die Tat war als rechtsextreme Botschafts zu verstehen und wirkt in ihrer Schockwirkung als solche bis heute. Entsprechend ist davon auszugehen, dass es mindestens für die Planung des Mordes lokale Helfer:innen gab. Diese Frage ist allerdings, wie so viele Fragen im NSU-Komplex, noch nicht ausreichend geklärt.
Im Mai 2006, einen Monat nach dem Mord, ging die Familie Yozgat mit Familien anderer Opfer(Şimşek und Kubaşik) und gemeinsam mit vielen Menschen auf die Straße und forderten „Kein 10. Opfer!“. Sie thematisierten dabei auch ein mögliches rassistisches Motiv der Taten, das damals von den Behörden nicht verfolgt wurde.
Mit dem Halitplatz gibt es seit Oktober 2012 einen Gedenkort in der Stadt Kassel. Der vormals namenslose Platz am Haupteingang zum städtischen Hauptfriedhof wurde als Reaktion der Stadt auf die Forderung der Familie, die Holländische Straße in Halitstraße umzubenennen, etabliert. Zum 10-jährigen Gedenken an den Mord sagte Ismail Yozgat dazu folgendes:
„Ich habe viel darüber nachgedacht, wie ich die kommende Generation vor braunem Gedankengut und den Folgen daraus schützen kann. […] Deshalb haben wir eine Lebensaufgabe für uns definiert – die Umbenennung der Holländischen Straße in Halitstraße. Zum einen ist Halit in der Holländischen Straße geboren, hat dort gelebt und wurde dort brutal ermordet. Zum anderen ist die Holländische Straße eine stark befahrene und lang erstreckende Straße. […] Mit einer Umbennenung in Halitstraße bin ich fest davon überzeugt, dass viele sich fragen werden, wie die Namensgebung stattgefunden hat. Somit werden diese grausamen Morde niemals in Vergessenheit geraten und das wachsame Auge weiterhin gestärkt. Leider bin ich ebenfalls fest davon überzeugt, dass mit dem Halitplatz und der Haltestelle meine Beweggründe unzureichend erfüllt sind.“
Der Halitplatz ist damit auch Symbol für eine Gedenkpolitik, die nicht im Sinne der Betroffenen ist. Jedes Jahr am 6. April finden hier Gedenkveranstaltungen für Halit Yozgat statt.
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Literatur und Links:
Barbara John (Hg.) (2014): Unsere Wunden kann die Zeit nicht heilen. Was der NSU-Terror für die Opfer und Angehörigen bedeutet. Freiburg im Breisgau: Verlag Herder.
Ayșe Güleç/ Lee Hielscher (2015): Zwischen Hegemonialität und Multiplität des Erinnerns. Suchbewegungen einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit dem NSU, In: Sebastian Friedrich et.al. (Hrsg.): Der NSU in bester Gesellschaft, Zwischen Neonazismus, Rassismus und Staat, Münster: Unrast Verlag, S. 144-158
Özlem Topçu: „Er starb in meinen Armen“, DIE ZEIT vom 11.10.2012
İsmail Yozgat (06.04.2016): Rede der Familie Yozgat am 06. April 2016, Editiertes Transkript der Initiative 6. April